Shake, rattle and roll – and fume

Selbst  ohne Wecker würde man hier rechtzeitig  wach werden. Die Zimmer in dem angejahrten Motel sind zwar neu und modern eingerichtet worden, aber die Wände scheinen nur aus Rigips zu bestehen. Aber gut, so besteht wenigstens keine Gefahr dass ich verschlafe.

Das Frühstück, das gestern abend schon gebracht wurde, ist auch gar nicht schlecht, der Toast hat sogar Ähnlichkeit mit dem was ein Deutscher Brot nennen würde, leicht und fluffig und sogar mit Körnern drin, schmeckt sehr gut. Aber warum lernt man in der Schule mühsam den Unterschied zwischen Jam und Marmalade, wenn beim Herrichten des Tabletts dann doch nur blind in die Kiste mit den diversen Spreads gegriffen wird? Zweimal Orangenmarmelade. Leider kann ich die noch nichtmal umtauschen gehen, weil die Rezeption erst eine Vierteltstunde bevor die Tour losgeht öffnet. Ich streiche mir also todesmutig Orangenmarmelade aufs Brot – och ja, so schlecht isses dann auch nicht. But it takes some getting used to.

Um viertel nach 7 sammeln sich etwa 20 Leute an der Rezeption, die alle auf die 20-Tunnel-Tour gehen wollen. Unser Guide und Fahrer des diesmal etwas größeren Kleinbusses ist Rob, ein Maori mit grauem Zopf und coolem Kopftuch. Er fährt uns zusammen mit Michelle von der Rezeption etwa 10 Kilometer aus dem Ort raus zum Start der Tour auf den Railway Tracks.

Das Wetter will leider nicht so recht, es ist zwar trocken aber sehr bedeckt und eher kühl.

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An der Startstation stehen eine Reihe von alten Golfwägelchen auf den Schienen, Viersitzer und Zweisitzer.

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Wir bekommen basic instructions zur Bedienung, und es stellt sich heraus, dass jedes Wägelchen mit einem Verbrennungsmotor ausgerüstet wurde („Oh, they run on petrol?“ fragt verwundert eine Teilnehmerin, die vermutlich genau  wie ich gedacht hatte, dass die Wägelchen mit Akkus betrieben werden) der auf maximal 25kmh runtergeschraubt wurde, gestartet wird mit einem Tritt aufs Gaspedal. An diesem eher kühlen Morgen tun sich die Motoren noch ein bisschen schwer, manche müssen mit dem Choke nachhelfen damit die Sache ans Laufen kommt. Jedes Wägelchen verfügt über eine Fleecedecke, und Rob verteilt Ohrstöpsel an alle. Ohrstöpsel? Sicherlich wegen der Zugluft, oder? Wie fürsorglich.
Von wegen. Nachdem wir alle unsere Wägelchen wachgetreten haben und langsam zweitaktig knatternd anfahren stellt sich relativ schnell heraus, dass die Ohrstöpsel nicht wegen des Fahrtwindes ausgeteilt wurden – sondern wegen des Geräuschpegels. Die Räder machen auf den Gleisen einen derartigen Lärm dass man sogar die Motoren nicht hört, und die Schafe und Kühe auf ihren Weiden fliehen blökend vor der anrückenden Wagenkolonne. Lauschiger Tagesausflug? Fehlanzeige.
An den immer gleichförmigen Lärm gewöhnt man sich relativ schnell, was mich aber stört weil ich das überhaupt nicht einkalkuliert hatte ist, dass man eigentlich ständig von Abgasen umweht wird und immer wieder den Benzingeruch in der Nase hat.
Und auch die Fleecedecken sind, zumindest für eine Frostbeule wie mich, bitter nötig. Es ist ja ohnehin schon nicht besonders warm draußen, und der Fahrtwind sorgt dann dafür dass es in den nach beiden Seiten offenen Golfcarts doch ziemlich kalt wird. Ich wickle meine untere Hälfte ein, so kann man es dann auch aushalten.

Und so geht es nun also in Kolonne zunächst an Wiesen und Weiden vorbei und gleich in den ersten Tunnel, der mit einer Länge von 1,5 Kilometern auch gleich der längste der ganzen Tour ist. Ist das KALT!!!
Wir machen immer mal wieder kleine Zwischenstopps, und Rob berichtet von der Zeit der Eisenbahnpioniere hier im King Country und über die technischen Herausforderungen, die sie zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende zu meistern hatten, und wie sich der Aufstieg und spätere Zusammenbruch des Kohleabbaus und damit zusammenhängend der Eisenbahn auf die Gegend und die Leute hier ausgewirkt hat. Interessant ist die Geschichte vom Gefängnis in dem kleinen Ort Ohura, wo ein Single Men’s Camp aus der Zeit des Eisenbahnbaus später umfunktioniert wurde zu einem Gefängnis für White Collar-Straftäter (Betrug, Unterschlagung etc.). Der Zaun drumrum ist gerade mal  brusthoch, worüber sich eine Teilnehmerin wundert, ist das nicht ein bissschen niedrig für ein Gefängnis? Nein, sagt Rob, es hat in all den Jahren in denen das Gefängnis in Betrieb war nur einen einzigen Ausbrecher gegeben. Der hat es ein paar Kilometer bis zur Straße geschafft und hat dann gehofft dass jemand vorbeikommt und ihn mitnimmt … der einzige Wagen der vorbeikam war das Polizeiauto, und die haben ihn dann wirklich mitgenommen. Und zurückgebracht. Ohura ist so abgelegen dass es einfach keine Chance gab dort wegzukommen. Die Türen im Gefängnis haben angeblich immer offen gestanden, und außer dem einen Optimisten hat wohl niemand ernsthaft versucht zu fliehen.

Nach zwei Stunden halten wir in einem kleinen Zwanzig-Seelen-Dorf mit einer heruntergekommenen, eiskalten Stadthalle, wo es heißen Kaffee und Tee gibt, von allen dankbar angenommen. Danach geht es weiter an bergigen Weiden vorbei, sehr schön und grün aber doch ein bisschen eintönig. Zwischendurch sieht man immer mal wieder ein paar verrostende Oldtimer neben den Schienen stehen, die hier langsam verrottend immerhin ein bisschen shabby charm verbreiten.

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Mittagessen gibt es in Tokirima, wo wir uns mit den von Michelle in der Zwischenzeit hergeschafften Zutaten Sandwiches zusammenstellen können: Brot, Tomaten, Salatblätter und kaltes Fleisch. Nicht wirklich mein Ding, aber ich probiere eine Scheibe von dem leckeren Brot mit ein bisschen Piccalilli, schmeckt sogar ganz gut. (Die Gurken, die da kleingeschippelt drin sind, ignorier ich jetzt einfach mal. Ich mag keine Gurken.)

Die Strecke zwischen Mittagessen und Endstation ist die landschaftlich schönste, mitten durch Schluchten und Täler mit dicht bewachsenen Abhängen.

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Wir landen gegen halb vier in Whangamomona (sprich Fángamómona). Rob und Michelle müssen hier zunächst alle Carts umdrehen (dafür gibt es einen selbstgemachten Turntable), und wir sollen uns doch einfach solange eine halbe Stunde in den Pub setzen. Vorbei an einem Schild, auf dem die (selbsternannte) Republik Whangamomona ihre Gäste begrüßt, gehts in ein wiedermal total gottverlassenes Örtchen, in dem es eine Handvoll Wohnhäuser, eine klitzekleine Kirche, ein paar Ruinen und ein Hotel mit Pub gibt. Wer will kann hier ein Ale inhalieren oder einen Flat White.

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Auf der Rückfahrt sehen wir einen Van im Straßengraben liegen, der aus eigener Kraft nicht wieder rauskommt. Rob hält an und packt ein Seil aus, und zusammen mit einem ebenfalls vorbeikommenden Allradjeep und einem unserer Tourteilnehmer am Steuer des Vans schaffen sie es auch, den Wagen wieder auf die Straße zu ziehen. Die Jungs werden mit Beifall wieder im Bus begrüßt, und dann gehts wirklich zurück ins Hotel.

Ich brauche zwanzig Minuten unter einer heißen Dusche, um wieder warm zu werden. Ich schiebe den Rest von den leckeren Schweinenudeln in die Mikrowelle, die offenbar inzwischen überall zur standardmäßigen Zimmereinrichtung gehört, und dann ab unter die Bettdecke um die angeduschte Wärme nicht wieder zu verlieren. Nach einer Folge von Inspector Barnaby (einer der 10 TV-Kanäle ist BBC UK) lasse ich mich mit Vanity Fair in den Schlaf lesen.

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