Mixed Welly

Morgens fegt der Wind immer noch ums Haus, und es pladdert ans Fenster. Ich wandere zum Frühstück erneut ins Floriditas, heute etwas später weil Sonntag ist, und nehme nochmal das leckere Körnertoast-Frühstück.

Als ich rauskomme hat der Regen aufgehört, es ist zwar noch windig aber nicht unbedingt kalt. Ich schlendere die Cuba Street wieder hoch und schlage dann den Weg zum Nationalmuseum ein, das am unteren Ende der Waterfront liegt und Te Papa Tongarewa heißt.

Das Museum behandelt Neuseelands Geschichte, angefangen von der Verschiebung der Erdplatten über das Eintreffen der Maori bis in die Neuzeit. Ganz unten geht’s gleich um die Prähistorie und um Neuseelands Erdbeben- und Vulkanausbruchgeschichte. Ist natürlich auch sehr für Kinder ausgelegt, aber nicht nur Kinder können hier in der Quake Hut am eigenen Leib erfahren, wie sich ein Erdbeben anfühlt. Intensiv werden die Erdaktivitäten der Vergangenheit in ihren Auswirkungen auf die Menschen und die Landschaft beschrieben. Alleine in dieser Abteilung kann man schon sehr viel Zeit verbringen.

Eine Etage höher geht es darum, wie das Eintreffen des Menschen die Landschaft der Inseln verändert hat. Man macht sich gar nicht so klar dass das schon mit den ersten polynesischen Besiedlern angefangen hat, auch die haben schon Bäume abgeholzt um Weiden zu schaffen, aber natürlich nicht in dem Maß wie die Europäer ein paar hundert Jahre später. Von einem ursprünglich von Wald bedeckten Gebiet ist nur noch wenig übrig geblieben, die Weidewirtschaft dominiert heute das Landschaftsbild.

Noch eine Etage darüber geht es um die Geschichte der Maori. Im Hauptbereich ist fotografieren aus religiösen Gründen verboten, und ich halte mich brav daran, obwohl überraschend viele Besucher offenbar weder lesen noch Piktogramme deuten können. Man kann aber vor dem Hauptbereich zum Beispiel eins der riesigen Kanus fotografieren, oder den Bereich zum Thema Treaty of Waitangi, dem Vertrag der Stammesanführer mit Queen Victoria der bis heute Gültigkeit besitzt und der alle Bewohner Neuseelands zu britischen Staatsbürgern machte, der vermutlich aber nur aufgrund von Übersetzungsfehlern überhaupt von den Stammesältesten unterzeichnet wurde.

In den Etagen darüber geht es um die Geschichte der Einwanderung nach Neuseeland: Welche Gruppen kamen wann, aus welchem Grund, und wie haben sie sich akklimatisiert? Neuseeland war offenbar schon immer ein typisches Einwanderugsland und hat Europäer, Polynesier und Asiaten angezogen.

Gegen Mittag tun mir die Füße weh. Aber: Siehe da, der Himmel klart auf. Auf dem Weg zu meinem nächsten Termin muss ich den Weg von heute morgen wieder zurück gehen und die Cuba Street bis fast ganz runter laufen, denn dort befindet sich, mühsam ergoogelt, der einzige ausgewiesene Tearoom den ich finden konnte. Er heißt „Martha’s Pantry“ und bietet zu festen Zeiten einen High Tea an. In Wellington findet man Cafés mit reichlich Kaffeespezialitäten an jeder Ecke, Craft Beer dito, aber dafür dass die Kiwis mal zu den weltbesten Teetrinkern gehört haben (bevor ihnen jemand erzählt hat man könne auch Kaffee trinken) gibt es erstaunlich wenig teezentrierte Gastronomie. Ich habe jetzt jedenfalls einen High Tea in Martha’s Pantry gebucht.

Von außen sieht man erstmal nix.

Von der Seite sieht man dann schon ein bisschen mehr.

Und drinnen ist es dann ein Fall von „Ohjehchen.“ Ein plüschrüschiges Puppenhäuschen in Puderrosa, Pastelblau und Zartgelb, mit Stuckleisten an der Decke und niedlichen Strohhüten an der Garderobe, an denen sich die Gäste zwecks Ambienteverschmelzung gerne bedienen können. Es gibt nur eine Handvoll Tischchen mit Shabby-Chic Stühlchen, und obwohl ich weder groß noch ausladend bin passe ich nur mit sehr viel Vorsicht zwischen Stuhl und Tisch, ich fühle mich wie Gulliver im Land der Zwerge. Völlig neues Lebensgefühl.

Man platziert mich unter einem offenbar selbstgemalten Wandbild:

Es gibt richtigen Blatt-Tee im Porzellankännchen mit stilechtem tea cosy, einem selbstgestrickten babyblauen Warmhaltejäckchen, und (es gibt gemischtes Geschirr, und man kann es sich leider nicht aussuchen) babyblaues Porzellan.

Die Etagere enthält unten herzhafte Kleinigkeiten, das übliche Gurkensandwich, ein köstliches Lammragout-Tartelett, etwa so groß wie eine Zwei-Euro-Münze, ein klitzekleines Lachsmousse-Kräckerchen (wird weggelassen), ein Minimini-Clubsandwichlein und ein kleines Feta-Spinat-Omelettchen mit Rote-Beete-Confit, das ganz besonders lecker ist.

Eine Etage höher sind dann die süßen Kleinigkeiten: Zwei kleine Scones-Hälften mit Himbeermarmelade beziehungsweise Passionsfrucht drauf, ein Vanillebisquitkügelchen mit Marzipanrosettchen drauf, ein Zitronentartelettchen mit Baiserhaube und ein Bisquit-Kaffee-Schichttörtchen. Schon alles sehr gut und alles ganz offenbar selbstgemacht, aber auch schon wirklich sehr süß. Zusammen mit dem Zucker im Tee dürfte ich meinen Zuckerbedarf für die nächsten drei Tage innerhalb einer Stunde bereits übererfüllt haben.

Und obwohl alle Teile beinahe lächerlich klein waren, muss ich vor dem Schichttörtchen die Segel streichen. Passt nicht mehr.

Langsam, sehr langsam gehe ich die ganze Cuba Street wieder zurück (nun wieder bei strahlendem Sonnenschein, heute gibts zum Abschluss 3 Jahreszeiten an einem Tag) bis zur I-Site, wo ich für heute eine Stadtrundfahrt gebucht habe. Ich hatte das nach dem geplanten Museumsbesuch für eine gute Idee gehalten, einfach nur in einem gefüllten Bus sitzen, mich umherkutschieren lassen und bloß zuhören müssen. Offenbar habe ich aber ein inniges Verhältnis zu Radio Eriwan. Es ist nämlich die letzte Tour der Stadtrundfahrten für heute, es wird nur ein Kleinbus eingesetzt, und ich bin der einzige Teilnehmer. Damit der Fahrer nicht brüllen muss bittet er mich nach vorne auf den Beifahrersitz, und ich bekomme eine Privattour, was aber auch heisst dass ich nicht nur passiv im Halbschlaf rumhängen kann weil das unhöflich wäre. Höfliche Aufmerksamkeit ist vonnöten, und ich soll gerne Fragen stellen. So wird’s nun zwar nix mit dem Verdauungsschläfchen, aber ich erfahre Hintergrundinfos die mir sonst kaum über den Weg gelaufen wären, nämlich zum Beispiel dass der Lambton Quay, heute eine Haupteinkaufsstraße, auf Land gebaut ist das bei einem Erdbeben aus dem Hafenbecken gehoben wurde, dass das letzte Erdbeben einen Kinoparkplatz komplett zerlegt hat, dass Wellington nur deshalb heute Hauptstadt ist weil Auckland, das den Job als erster hatte, zu weit im Norden lag und die Südinsel schon Anstalten machte selbstständig werden zu wollen, so dass die Verlagerung der Hauptstadt nach Wellington ein Zugeständnis an die Südinsel war (nicht dass München jetzt auf Ideen kommt …). Hier ist der Mount Victoria, und hier ist das berühmte Embassy-Kino, wo die Uraufführung von „The Return of the King“ stattgefunden hat. Und, ach ja, er selber war übrigens Statist in der LOTR-Trilogie. Was, echt? Oh ja, sagt er und zieht ohne den Blick von der Straße zu nehmen aus seinem Rucksack ein laminiertes Blatt mit Bildern hervor, auf denen er als Man of Rohan neben Vigo Mortensen zu sehen ist, er ist abwechselnd Ork, Rohan-Soldat, Minas-Tirith-Soldat und Elf gewesen. Die Monate, die er beim Helm’s Deep-Dreh verbracht hat, waren die anstrengendsten seines Lebens, 3 Monate Nachtdrehs am Stück, immer beregnet von riesigen Regentürmen, „that was stressful“. Er ist groß und dünn, also haben sie ihn in Elfenkleidung gesteckt, alles Naturmaterialien, die sich bei Regen so richtig schön vollsaugen.

Weil er mir einen Gefallen tun möchte halten wir am Beehive an, und erst bei dieser Gelegenheit erfahre ich, dass das Gebäude neben dem alten Parlamentsgebäude, das sich so von diesen abhebt dass ich es für mindestens ein Kloster gehalten hatte, absolut keinen geistlichen Inhalt hat sondern die Parlamentsbibliothek beherbergt.

Nach anderthalb Stunden werde ich am Te Papa Museum wieder abgesetzt, Feierabend. Ich spaziere noch ein bisschen ums Museum herum und dann langsam wieder Richtung Waterfront. Hunger macht sich bemerkbar, jetzt muss es aber dringend was Herzhaftes sein. Wonach wär mir denn? Ach, da war doch der Laden mit der Steinofenpizza, den ich mir schonmal ausgekuckt hatte, wo war der noch gleich? Ach ja, Cuba Street …

Meine Füße laufen inzwischen schon von alleine die Cuba Street herunter. Unten, ganz unten, ist die kleine Pizzeria „Heaven“, wo es in der Tat eine himmlische Pizza gibt, knusperdünner Boden und Zutaten nach Wunsch, köstlich.

Meine letzte Amtshandlung für heute ist die Vorverlegung des Pickup-Taxis für morgen. Die Fähre zur Südinsel geht um 9, der Pickup ist vom Reisebüro auf 8 Uhr gelegt worden. Einchecken muss ich aber spätestens 45 Minuten vor Ablegen, lese ich heute im Internet. 15 Minuten vom Hotel zum Anleger? Montags morgens? Im Berufsverkehr?? Nee, da will lieber auf Nummer sicher gehen, 7.30 Uhr wär mir lieber, also rufe ich auf eigene Faust beim Taxiunternehmen und erkläre die Situation. „No problem“ wird mir versichert.

Na dann hoffen wir mal das beste.

6 Gedanken zu „Mixed Welly

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