Zippin‘ in the Rain

Ich ziehe um kurz nach 6 den Vorhang zurück, und die Welt ist grau. Der Höhenzug ist nur zur Hälfte zu sehen, der Rest verschwindet in träge ziehenden Nebelschwaden.

tmp-cam-1823085233

Aber immerhin: der Regen hat aufgehört. So richtig Lust auf Frühstück hab ich nicht, also muss der Rest von dem Superkeks von gestern reichen. Der InterCity-Bus fährt um kurz nach halb acht, man soll eine Viertelstunde früher da sein, mit meiner Ich-muss-vorher-dasein-Manie bin ich schon kurz nach 7 an der Haltestelle. Gegenüber ist das städtische Freibad, in dem die ersten Schwimmer schon ihre Runden drehen. Der Bus hat ein bisschen Verspätung, aber das ist kein Problem, wir haben im Thames über eine halbe Stunde Aufenthalt.

Außer mir steigen an diesem Morgen nur noch eine Handvoll Leute ein, ich setz mich wieder nach vorne und tu mir Musik auf die Ohren, während der Fahrer uns im bereits bekannten Kiwi-Halsbrecher-Stil durch die Kurven nach Thames befördert. Hier gibts in einem Café zumindest mal einen Tee.

Zurück in den Bus, der nun weiterfahren soll nach Morrinsville. Tut er aber erstmal nicht, er wartet auf einen Passagier der zwar angemeldet aber noch nicht eingetroffen ist. 10 Minuten wartet er, ohne dass der fehlende Fahrgast auftaucht, und als es endlich losgeht sagt der Fahrer in den Bus rein, dass er heute mal nicht über Morrinsville fährt weil ja nur der fehlende Fahrgast da hin wollte, und da könnte er ja gleich weiter nach Hamilton fahren … Ähm, ’scuse me! I have to change buses at Morrinsville, I’m going to Rotorua! „Oh, you’re going to Morrinsville? Okay then.“ Leider hätte ich in Morrinsville exakt 11 Minuten zum Umsteigen, das wird jetzt echt knapp. Ob die auf mich warten werden, möchte ich wissen. „Yeah yeah“ ist die Antwort. Das Wetter wird wieder schlechter, es beginnt zu regnen, selbst die Kiwis fahren jetzt langsamer. Oh dear.

tmp-cam-993442675

Aus den 10 Minuten Verspätung werden am Ende 15. Im strömenden Regen kommen wir in Morrinsville an und ich erreiche so grade noch den Anschlussbus, aber die Probleme gehen weiter: „What’s your name then?“ Für die Intercity-Busse muss man sich vorher anmelden, in meinem Fall hat das das Reisebüro für mich geregelt. Und nun: „You’re not on my list!“ Aber das ist doch der Bus nach Rotorua? Ich war für den Bus nach Rotorua gebucht! Zum Glück hat die Fahrerin bei dem Regen keine Lust auf weitere Recherchen, sie glaubt mir jetzt einfach mal dass ich a) angemeldet bin und b) schon bezahlt habe, mein Koffer wird also in den Frachtraum gewuchtet und ich darf mitfahren. Puh …

Neben mir sitzt eine ältere Spanierin deren Englisch noch unbeholfener ist als meines, wir machen ein bisschen Express-Sprachunterricht: Ich schreibe ihr auf, was Nieselregen heißt und wie man sagt dass es schüttet. Offenbar hat sie das in ihr Smartphone eingetippt und lernt jetzt die Aussprache, denn neben mir höre ich jetzt ein paar mal die Smartphone-Stimme „drizzle“ und „pouring“ sagen, und die Spanierin spricht es nach: „Drissöl“. Es regnet in einem fort. Wir halten in dem Städtchen Matamata, dort gehen die Touren zum Filmset von Hobbiton ab, wo Teile von Peter Jacksons „Lord of the Rings“ und „The Hobbit“ gedreht wurden. Gut dass ich das ausgelassen habe, das kann bei dem Wetter ja auch kein Vergnügen sein. Das I-Site, wie die Touristeninformation in NZ heißt, hat in Matamata übrigens Hobbiton-Architektur, inklusive runder grüner Holztür.

Und irgendwo im Nirgendwo zwischen Matamata und Rotorua geht dann auf einmal gar nichts mehr. Vor uns ein offenbar schon ellenlanger Stau, der sich keinen Meter vorwärts bewegt. Im Nu stehen wir mitten in einer unabsehbar langen Schlange. Lange tut sich nichts, dann sieht man dass die ersten Fahrzeuge vor uns einfach wenden und zurück fahren. Die spanische Damen neben mir schaut nervös auf die Uhr: Wir sollten theoretisch um 12.15 Uhr in Rotorua einlaufen und sie muss um 1 Uhr den Anschlussbus nach Taupo nehmen, zu dem es heute keine Alternative mehr gibt. Wir stehen immer noch. Die Fahrerin winkt eines der umkehrenden Autos heran und fragt was da vorne los ist. Antwort: In dem Wäldchen das vor uns liegt sind zwei Bäume auf die Straße gekippt und blockieren die komplette Fahrbahn. Die Feuerwehr weiß Bescheid, aber es kann noch dauern bis die kommt. Die Fahrerin flucht, weil der Bus zu groß ist um ihn auf der Landstraße wenden zu können

Die Spanierin neben mir kriegt jetzt ein echtes Problem. Wenn sie den Bus nach Taupo verpasst kommt sie heute nicht mehr weg. Sie fragt die Fahrerin ob der Anschlussbus warten kann, und die Fahrerin gibt ihr die Nummer vom InterCity-Büro, sie soll das mit denen ausmachen. Sie erreicht dort auch jemanden, kann sich aber nicht verständlich machen und bittet mich schließlich, ob ich das für sie übernehmen kann. Also versuche ich dem Menschen am anderen Ende klar zu machen was das Problem ist, er lässt sich die Buchungsnummer der Dame geben und verspricht er werde sich bemühen, aber ewig warten kann der Anschlussbus eben auch nicht, aber er wird sehen was sich machen lässt. Die arme Spanierin ist ziemlich unglücklich, aber wir können im Moment erstmal nichts tun.

Endlich kommen von hinten Sirenen angeheult, ein winzig kleines Feuerwehrauto saust vorbei, aber das kleine Gefährt scheint eine große Säge im Gepäck gehabt zu haben, denn die Feuerwehr kann in relativ kurzer Zeit die Bäume zumindest so weit zerlegen und zur Seite schaffen dass eine Fahrspur frei wird, und da man gesehen hat dass ein InterCity-Bus in der Schlange ist darf unsere Fahrspur als erstes durchrauschen, und wir schaffen für die Spanierin eine Punktlandung in Rotorua: Sie erwischt ihren Bus noch.

Leider habe ich jetzt ein Problem: Eigentlich war verabredet dass mich ein Pickup-Taxi zum Hotel bringt, aber durch die Verspätung von einer Dreiviertelstunde hat der Fahrer wohl schon das Handtuch geworfen, jedenfalls ist kein Pickup-Taxi da. Ich hab jetzt aber auch keine Lust auf Recherchen und nehme einfach ein anderes, das muss ich nun zwar bezahlen weil der Voucher nix nützt, aber das ist jetzt auch egal, Hauptsache raus aus dem Regen und rein ins Hotel.

Das Hotel liegt an einer Durchgangsstraße, auf der geht es jedoch eher gemütlich zu, und das Hotel ist ganz nett, und das Zimmer ist wirklich sehr gut gepflegt, hell und freundlich, und hat einen luxuriösen Whirlpool im Zimmer.

tmp-cam-1766004748

Jetzt muss schnell was zu essen her, weil ich um halb vier wiedermal gepickupt werde. An der Durchgangsstraße liegen etliche Geschäfte, allerdings ist alles etwas weiter auseinandergezogen, und ich muss circa 10 Minuten gehen bis ich auf etwas Essbares stoße, und das ist dann die Börgerkette mit dem gelben M. Macht nix, kann man auch satt von werden. Also schnell ein paar Stücke geformtes Huhn an Pommes auf Süß-Sauerer Soße und wieder zurück ins Hotel. Denn heute Nachmittag wirds abenteuerlich: Ich habe mich für eine Canopy-Tour angemeldet, eine Hochseil- und Hängebrücken-Tour durch den Wald.

Diesmal klappt es mit dem Pickup. Zusammen mit zwei anderen Deutschen werde ich „back to base“ geshuttelt wo wir zu einer Gruppe von circa 10 Leuten zusammengestellt werden. „You guys need anything? Got a raincoat?“ Jeder erhält eine Regenjacke, einen Klettergurt und einen Helm sowie ein Tablet, auf dem man zum Beispiel angeben muss wie man heißt, ob man ein Herzproblem oder sonstige Krankheiten hat, wer die nächsten Angehörigen sind (oh … schluck) und dann muss man unterschreiben dass man zur Kenntnis nimmt dass Tod und Verletzung nicht rechtlich auszuschließen sind … Ach du liebe Zeit. Aber die Leute da machen einen vertrauenswürdigen Eindruck, die Beurteilungen im Internet waren gut und gehen auch schon einige Jahre zurück, also nu los, Nägel mit Köpfen.

Wir werden, bereits fertig eingegurtet und behelmt, mit dem üblichen Kleinbus aus der Stadt raus und in ein Waldgebiet gefahren. Es nieselt, als wir dort aussteigen und nach wenigen Schritten im Urwald verschwinden. Unter dem Blätterdach kommt kaum Regen an, es tropft nur ein wenig von den Bäumen herunter. Wir stehen nach einigen hundert Metern gewundenen Waldpfades und nach dem Besteigen einiger kleiner Holztreppen plötzlich auf der ersten Plattform, die an einem Abhang steht und zum Glück ein Geländer hat, denn hinter dem Holztor auf der Plattform geht es geradewegs ins Nichts. Wir bekommen (jetzt schon deutlich angespannter) eine ausführliche Sicherheits- und Verhaltensanweisung, und dann sollen wir wahrhaftig nacheinander vor das Holztor treten, wo unsere Gurte mit dicken Karabinern an eine Zipline (ein Stahlseil) gehakt werden, und dann geht es drei Holzstufen von der freien Plattform hinab ins Nichts – so scheint es erstmal, aber genau genommen geht es am Stahlseil über vielleicht hundert Meter bewaldeten Abgrund bis zur nächsten Plattform. Jean macht es vor – aha, hmhm, komm ich noch irgendwie aus der Geschichte wieder raus? Nein, Bangemachen gilt nicht, andere Leute haben das auch überlebt, also los. Jean wird uns drüben in Empfang nehmen.

Wer will anfangen? Nein danke, das darf gerne einer von den Jungs machen die bei der allgemeinen Vorstellung als Hobbys Skydiving und Bungeejumping angegeben haben. So richtig zuversichtlich sehen die auch nicht aus, aber sie lassen sich nicht lumpen und zischen jodelnd die erste Zipline entlang. Und irgendwann stehe ich auch vor dem Tor, werde mit Karabinern festgemacht und dann: „Elke’s zipped in!“ sagt Bailey ins Mikro, und ich höre Jean aus dem Lautsprecher rauschen: „Great, send her on!“ Also todesmutig die drei Stufen hinabsteigen, die von der Plattform ins Nichts führen, oh, so hoch über dem Wald … uuuuund wuiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii …. Plonk. Plattform 2 erreicht. „Well done! How was it?“ Och, eigentlich ganz nett. Man muss sich nur mal überwinden, aber wenn man merkt dass die ganzen Gerätschaften einen halten könnte man durchaus anfangen vielleicht unter Umständen eventuell Spaß an der Sache zu haben.

tmp-cam-1183745744

Wir werden umkarabinert, jetzt auf eine Hängebrücke, allerdings netterweise eine mit Halteseilen links und rechts. Man sieht zwar mehr Boden (sehr weit entfernten Boden), aber mit den Handseilen ist die Sache schon beinahe harmlos. Zwei weitere kurze Ziplines folgen, bei der zweiten sollen doch bitte alle mal nicht den Gurt umklammern sondern wie Vögel mit Armen flattern, und bei der dritten wärs doch mal eine nette Abwechslung rückwärts die Stufen runterzugehen und sich rückwärts fallen zu lassen. Was wir auch alle brav tun und in wachsendem Maße Spaß an der Sache haben, es hat schon was, durch die Baumwipfel zu sausen und den Wald mal aus dieser Perspektive (und in dem Tempo) zu durchqueren. Wir zippen vorbei an riesigen Farnwedeln und glitschigen Baumstämmen und fangen an, es normal zu finden.

tmp-cam-35786129

tmp-cam-129552705

tmp-cam-64014941

tmp-cam-1974161800

Dann kommt das Highlight: 46 Meter über dem Waldboden, die höchste Plattform (alle außer der ersten haben kein Geländer mehr, aber wir werden sofort nach der Landung an ein Kabel angeklickt das um den Baumstamm verläuft), und es folgt die längste Zipline, 200 Meter. Juiiiii … Klasse! Mehr davon! Wer sicht traut darf auch mal Spökes am Seil machen, zum Beispiel kopfunter zippen, oder in Liegeposition mit den Händen bequem hinterm Kopf.

Und viel zu schnell ist die Sache zuende. Wir haben schon beim Hinweg durch den Wald ein paar Sachen über Neuseelands Urzustand gehört (bevor der Mensch eingriff), auf einigen Plattformen stehen Infotafeln zu Vögeln, und als wir die letzte Zipline runtergerauscht sind gibt es am Waldboden noch ein paar Infos zur Pest Control, dem Bemühen der neuseeländischen Regierung im Allgemeinen und des Tourveranstalters in dieser Region im Besonderen, „pests“ wie Ratten, Possums und Wiesel auszurotten, weil sie nicht nur Neuseelands Vogelwelt drastisch dezimiert haben, sondern auch noch die Bäume kahlfressen.

Unter den Bäumen haben wir es gar nicht richtig bemerkt, und auf der Zipline waren wir zu sehr mit Fliegen beschäftigt, aber es hat wieder richtig angefangen zu regnen. Der Bus schwimmt zurück zur Basis, wo wir ausgewickelt und auf Wunsch ins Hotel geshuttelt werden. Sieben Uhr – also jetzt muss aber mal ein richtiges Abendessen her, gestern gab’s nur eine Minitüte Chips und heute mittag das Junkfood. Der freundliche Rezeptionist empfiehlt einen zum Glück fußläufig erreichbaren Italiener, und da gibt es einen leckeren Caesar’s Salad und einen ganz köstlichen Fruchtcocktail.

Morgen ist schon wieder früh aufstehen angesagt, weil ich (mal wieder) upgepickt werde. Morgen wirds wieder heiß. Nicht nur, weil angeblich morgen die Sonne wieder rauskommen soll.

Morgen ist Geothermal Day.

 

 

 

 

2 Gedanken zu „Zippin‘ in the Rain

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert