A sad sight

Der Tag beginnt früh, Frühstück ist für 6 Uhr aufs Zimmer bestellt, und um 7 kommt das Pickup-Taxi und bringt mich zum Nelson Airport. Ein klitzekleiner Inlandsflughafen, wo das Check-In 10 Sekunden dauert. Draußen auf der Piste steht die kleine 50-sitzige Propellermaschine, die ihre Passagiere nach Christchurch bringen soll. Ich verbringe die Wartezeit hauptsächlich mit Naseputzen und Husten, erweitert um eine nicht zu kleine Portion Selbstmitleid. Musste das jetzt echt sein …?

Wir gehen über eine kleine Rampe die aussieht wie selbstgeschweißt in das Maschinchen hinein. Jetzt weiß ich wieder warum ich Flugangst habe.

Ich sitze in der allerhintersten Reihe, hinter mir der Gepäckraum und möglicherweise sowas wie eine Kühlung oder die Aircondition, jedenfalls rauscht es in meinem Rücken wie ein voll aufgedrehtes gestörtes Radio, was es mir leider unmöglich macht die ganzen Durchsagen zu verstehen, aber ich gehe mal davon aus dass die nichts anderes enthalten als die üblichen Sachen, Rauchen, Sicherheitsgurte, Mobilgeräte, nächste Angehörige etc.

Der Flug bleibt zum Glück ereignislos, es gibt kaum Wolken, und ich habe von meinem Fensterplatz einen guten Blick auf die Landschaft da unten, die direkt hinter Nelson für mich unerwarteterweise aussieht wie eine Mondlandschaft, da sollen Leute wohnen? Und noch erstaunlicher ist das, was der Taxifahrer später mit „Someone’s gone and put some white stuff on the mountains, can you believe it? In January!“ kommentieren wird. Schnee im Sommer, und das waren noch nicht mal die Southern Alps da draußen, bei denen man damit rechnen muss!

Per Shuttle geht es rein nach Christchurch. Seltsam sieht’s hier aus. Die Stadt ist eine einzige Baustelle, der Taxifahrer sagt als Autofahrer weiß man morgens nie, wie heute die Straßenführung sein wird. Bauzäune und endlose Reihen von Pylonen überall. Man könnte meinen, man sei nicht in der Garden City, wie Christchurch genannt wird, sondern in Parking Lot City. Eine Stadt mit unglaublich vielen Parkplätzen in unglaublich schlechtem Zustand.

Das wirklich Traurige am Christchurch von heute ist nicht das, was man sieht – das wirkt halt auf den ersten Blick einfach ein bisschen öde. Die Tragik verbirgt sich hinter dem was man nicht (mehr) sieht. Alle die riesigen, mies aussehenden Parkplätze, all die Brachflächen waren mal das komplett mit Hochhäusern zugebaute Geschäftsviertel von Christchurch. Das war mal eine ganz normale Großstadt-Innenstadt. Das Beben vom November 2010 hatte vergleichsweise wenig Schaden angerichtet, und man dachte man sei nochmal davongekommen. Es war eines der zahllosen Nachbeben, das im Februar 2011 den CBD in eine Schutthalde verwandelt hat. Mittags und kurz vor 13 Uhr, Lunch Hour. Es gab über 180 Tote, die Schäden waren unglaublich, die ganze Innenstadt war verbotene Zone und komplett abgesperrt, das muss ausgesehen haben wie im Krieg.

Die Stadt steht vor einer unglaublichen Herkulesaufgabe. Nach dem Abriss all der beschädigten Gebäude wurde in großem Rahmen der Neuaufbau geplant, aber man schätzt dass es Jahrzehnte dauern wird bis die Innenstadt wieder aussieht wie eine Innenstadt und nicht wie ein unkoordiniert geplantes Neubaugebiet in Flughafennähe.

Der Taxifahrer sagt, dass mein Hotel seit dem Erdbeben das höchste Gebäude ist und auch bleiben wird, weil die Stadt für alle Neubauten eine Höhenbeschränkung festgelegt hat. Das beruhigt mich nun auch nicht wirklich, aber es hat immerhin beide Beben überstanden. Dass man mich allerdings im 13. Stock unterbringt trägt nicht unbedingt zu meinem Wohlbefinden bei.

Da es noch relativ früh am Tag ist entscheide ich mich für eine Stadtrundfahrt. Man hat einen roten Londoner Doppeldeckerbus (Baujahr 1965, läuft und läuft und läuft) gebraucht gekauft und ein paar Lautsprecher eingebaut, so dass wir den Kommentar des Fahrers gut hören können. Und vom Oberdeck hat man einen guten Blick auf all das, was noch da ist.

Die Christchurch Cathedral, das neugotische Wahrzeichen der Stadt, sieht aus wie eine unverbundene Wunde. Das Hauptschiff steht noch, aber der Glockenturm ist komplett zusammengebrochen, und die Stelle wird mit Stahlträgern abgestützt. Die Anglikanische Kirche wollte eigentlich abreißen, ein paar Bürger haben die Geheimaktion aber mitbekommen und eine einstweilige Verfügung erwirken können, die aber nun auch schon wieder nichtig ist. Streng genommen können die Anglikaner als Besitzer damit machen was sie wollen, aber sie kriegen starken Gegenwind aus der Stadt. Man ist sich noch total uneins, ob die Kirche restauriert oder abgerissen wird, und es gibt bis heute keine verbindlichen Aussagen von der Anglikanischen Kirche was sie denn nun zu tun gedenkt.

Weiter geht es durch ein Labyrinth von Bauzäunen, und immer wieder das gleiche Bild: Stahlträger, ausgehöhlte Gebäude, aber dazwischen auch schon wieder Neubauten.

Vor der Cardboard Cathedral, einer Behelfskirche aus beschichteter Pappe und Schiffscontainern, steht das Denkmal der 185 empty white chairs, mit denen der Toten des Erdbebens gedacht wird.

Christchurchs Kunstszene hat aus der Not eine Tugend gemacht, sogenannte Gap Filler füllen leere Orte mit Kunstwerken, was zu erstaunlichen Begegnungen führt.

Es ist also nicht alles nur deprimierend, mit wilder Entschlossenheit bauen die Bewohner ihre Stadt wieder auf, nicht wissend ob alle Bemühungen nicht vielleicht umsonst sein werden wenn das nächste Beben kommt.

Die Stadtrundfahrt endet am Botanischen Garten – wie praktisch, da wollte ich heute sowieso hin. Der ist auch recht nett und hat viel buntes zu bieten.

(Ist aber kein Vergleich mit dem Garten/Park in Wellington ;-))

Eigentlich wäre jetzt Zeit für ein Mittagessen. Leider hat sich im Laufe des Vormittags immer deutlicher bemerkbar gemacht dass ich heute nicht auf die Straße gehöre sondern ins Bett. Es tut mir in der Seele weh, das schöne Wetter nicht nutzen zu können, aber es hat absolut keinen Zweck, Appetit hab ich eh nicht, ich bin jetzt offiziell richtig erkältet und will jetzt nur noch 1. eine heiße Dusche und 2. ein Bett. Und reichlich Taschentücher, Hustenbonbons und Flüssigkeit. Ich mache noch einen Schlenker durch die Re:START Mall, die bewegliche Container-Ladenzeile mit der Christchurch genial und trotzig seinen Einkaufsbereich wieder hergestellt hat und die je nach Fortschreiten der Bauarbeiten mal hier- und mal dahin verlagert werden kann.

Ich finde einen DroMa und kaufe Taschentuchnachschub, und die freundliche Bedienung weist mich auf das Regal mit den Antibiotika hin, die hier frei verkäuflich herumstehen. Nein danke, ich probiers erstmal ohne.

Im Hotel dusche ich heiß und Langstrecke, schare dann sämtliche Taschentücher, Hustenbonbons, Wasserflaschen, Saftpäckchen und Teetassen um mich herum und bette das schmerzende Haupt in ein Deluxe-Queenbed. Papa Thackeray liest mich in den Schlaf, während von draußen die Sonne hereinscheint. How sad.

4 Gedanken zu „A sad sight

  1. Ach je, da tut ja schon das Lesen weh 🙁
    Ich hoffe, dass es ganz schnell ganz viel besser geht (inniger Wunsch von uns hier im Büro)

  2. Ich bin ja sonst auch nicht so für Antibiotika, aber in deinem Fall
    würde ich ausnahmsweise darauf zurückgreifen, sonst hast du
    von dem Rest der Reise nur Unannehmlichkeiten.
    Gute Besserung!

  3. Ach, wie doooooof! Da wünsche ich Dir ganz rasche gute Besserung, damit Du den Rest der Reise wieder richtig genießen kannst! Seit Uschi mir Deinen Link geschickt hat, versüße ich mir regelmäßig mit Deinen Reisebeschreibungen den öden Büro-Alltag! VlG!

  4. Du Arme, ich drücke ganz fest die Daumen für eine wundersame Turbo-Heilung!
    Ich bin nicht die Kommentar-Schreiberin, aber Dein Blog ist so toll, die Landschaft um-wer-fend!!!, ich freue mich jeden Tag auf die Berichte!
    GlG Petra

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